Ein Schloss der Barockzeit ist mit der Pracht seiner Prunkräume der auf uns gekommene Rahmen für ein höfisches Festgeschehen, wie es sich zu keiner anderen Epoche in Europa üppiger entfaltete. Die Festkultur einer Residenz jener Zeit manifestierte sich u. a. im Empfangs- und Regierungszeremoniell, in Theater, Oper, Konzert, in Bällen und nicht zuletzt in Banketten, die überwältigend sein konnten. Julius Bernhard von Rohr schrieb 1733 in seiner „Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft Der großen Herren“: „Heutiges Tages werden bey grossen Solennitäten auf die Fürstlichen Tafeln wohl 80, 90, 100, ja über hundert Speisen aufgesetzt. Die unterschiedenen Gänge werden mit den mancherley Confituren wohl drey- biß viermahl verändert, und man zehlet auf iedem Gange bißweilen dreysig, vierzig und funfzig Speisen. So offt als ein neuer Gang aufgesetzet wird, werden gar offters die Tafeltücher und die Services verändert, und bey dem letzten Aufsatz der Confituren gemeiniglich Teller von dem schönsten Porcelain herum gelegt.“
Deckelterrine mit Unterplatte aus dem Meißner Service für den Kölner Kurfürsten Clemens August, 1741/42. Brühl, Schloss Augustusburg. Fotografie: Rüdiger Block, Hürth |
Als Menüfolge für „auf eine kostbare Art“ des Mittags und abends zu speisen empfiehlt ein Kochbuch von 1697: „1 Eine Potage. 2 Ein Essen Fische. 3 Einen Pasteten. 4 Geräucherte Zungen. 5 Gebakkenes. 6. 7 Zweierlei Braten. 8 Salat.“ Statt der Potage zu Beginn kann auch der Salat serviert werden; Zunge und Pastete lassen sich ersetzen durch die beiden Braten. An deren Stelle kommen dann „zwei Schüsseln / darinn Obst zierlich untereinander gelegt“. Wenn der Salat zu Beginn anstatt der Suppe gereicht wird, ist sein Platz als Schlussgang für eine große Schüssel mit Butter, Käse, geräuchertem Lachs, Krebsen, kleinen Fischen und italienischer Wurst frei.
Unterplatte der Deckelterrine. Fotografie: Rüdiger Block, Hürth |
Einen Abglanz vom Augenvergnügen, das die Tafel Clemens Augusts von frühestens 1742 an bieten konnte, geben uns die einundzwanzig Stücke seines so genannten Jagd- oder Kurkölnischen Services, die 1931 und 2002 in die Obhut des Schlosses Augustusburg gelangten und hier jetzt erstmals alle präsentiert werden.
Es war Prinzip der Kunstpolitik Clemens Augusts, jeweils das Beste vom Besten an Ausstattungsgut für seine Schlösser beschaffen zu lassen. Mit dem Kurkölnischen Service wurde 1741 die berühmte Manufaktur von Meißen beauftragt, deren plastische Abteilung damals der Hofbildhauer und Modelleurmeister Johann Joachim Kaendler leitete. Von August 1741 bis Januar 1742 liegen Arbeitsberichte Kaendlers und seines Mitarbeiters Johann Friedrich Eberlein bezüglich der Bestellung aus Kurköln vor. So notierte Kaendler im August 1741: „Für Ihro Churfürstl. Durchl. von Cölln zu dem bestellten Service. Die Modelle zu den Schüsseln gefertigt 4 Stück. Als die erste 1 Elle breit über den Diameter und die übrigen nach proportion kleiner“. Dieser Vermerk bezieht sich auf die großartigen Deckelterrinen mit Unterschalen, von denen eine 2002 dank dem Engagement des Kunsthauses Lempertz Köln aus Privatbesitz mit Mitteln der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kulturstiftung der Deutschen Bank erworben werden konnte (ein Gegenstück bewahrt das Museum für Angewandte Kunst Köln). Im September 1741 fügte Eberlein den Arbeitsniederschriften zur Entstehung des Services hinzu: „Ein Kindel, wie solches einen Korb mit Blumen ausschüttet, auf die Stürtze einer Terrine, des Churfürsten von Cölln Bestellung“: Ein solches „Kindel“ mit dem Blütenkorb krönt auch den Deckel der Brühler Terrine. Im Oktober 1741 ergänzte Eberlein: „Einen Henkel mit zwein Cornibus Copiae und anderen Zierrathen versehen zu der Churfürstl. Cöllnischen bestellten Terrine. Einen Fuß zu vorstehender Terrine in Arbeit genommen, so einen Löwenfuß vorstellet nebst noch anderen Zierrathen; ist aber noch nicht fertig“. Schließlich vermerkte Kaendler im Januar 1742: „Einen Fuß an die Chur Cöllnische Terrine geändert und verbessert, welcher mit Zierrathen versehen“.
Schololadenbecher mit Unterschale aus dem Meißner Service für den Kölner Kurfürst Clemens August, 1735. Brühl, Schloss Augustusburg. Fotografie: Rüdiger Block, Hürth |
Wie viele Teile die Meißner Manufaktur an den Hof von Kurköln lieferte, ist nicht bekannt. Auch nicht der Preis, der dafür zu zahlen war. Jedenfalls sollte auch dieses Geschirr dem barocken Drang nach dem Monumentalen und einer Prachtentfaltung sondergleichen Genüge tun. Schloss Augustusburg bewahrt heute den größten Bestand an Teilen aus Clemens Augusts Prunkservice in einer öffentlichen deutschen Sammlung: neben der Deckelterrine mit Unterschale neunzehn andere Stücke, erworben 1931 aus der Sammlung E. V. Goldschmidt-Rothschild in Berlin durch die Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Berlin, zu der Schloss Augustusburg damals gehörte. Die neunzehn Teile sind: zwölf kleine Teller, zwei mittelgroße Teller, ein großer Vorlegeteller, eine ovale Platte mit Henkel, zwei kleine Terrinen mit Henkel und ein Zuckerstreuer.
Huldigungsszene à la chinoise mit Reserve um eine chinoise Landschaft auf dem Schokoladenbecher. Fotografie: Rüdiger Block, Hürth |
Worin liegt der Charme dieses Tafelgeschirrs, das die Tischgesellschaft des Kurfürsten gewiss entzückte?
Neben der sorgfältig ausgebildeten Form aller Stücke – „sehr ausgeschweift und auf dem Rande herum mit kleinen Muscheln, welche vergoldet werden sollen, verzieret“ (Kaendler 1741) – ist es vor allem die farbige, an Phantasie unerschöpfliche Bemalung, die das Kurkölnische Service auszeichnet. So genannte trockene deutsche Blumen, wohl aus botanischen Werken übernommen, wechseln regellos mit Insekten vielfältigster Art, auch in deren Vorzustand als Raupen. Blumen, Insekten und Raupen sind „ombriert“, d. h. sie werfen Schatten und werden so zum Greifen plastisch. Jeder Gast an der kurfürstlichen Tafel hatte ein anderes Arrangement aus Blumen und Insekten vor Augen – Anregung genug für eine erheiternde Konversation mit den Tischnachbarn. Jedes Stück des Services trägt die Initialen des Gastgebers „CA“ unter dem Kurhut und umgeben vom Band für das vornehmste Würdezeichen Clemens Augusts, das Hochmeisterskreuz des Deutschen Ordens.
Die Unterschale mit Chinesen, die dem Monogramm CA huldigen, und Reserve mit Kauffahrtei-Szene. Fotografie: Rüdiger Block, Hürth |
Das Kurkölnische Service von 1741/42 war nicht die einzige Bestellung, die Meißen vom Hof Clemens Augusts erhielt. Schon 1735 fertigte man für ihn dort ein Kaffee-, Tee- und Schokoladenservice mit der einzigartigen Malerei à la chinoise an, die Johann Gregorius Höroldt entwickelt hatte. Die mehr als 80 Teile waren im Indianischen Haus des Brühler Schlossparks aufbewahrt und bezeugten wie das Lusthaus im chinesischen Genre, das die Porzellane barg, die Zuneigung Clemens Augusts zur Chinamode der Zeit. Schon beim Tode Clemens Augusts 1761 erkannte man die Kostbarkeit dieses feinen „porcellain… schön bemahlet“; kleinere und größere Partien dieses Services für die damals noch sündhaft teuren Luxusgetränke sind heute der Stolz großer Museen und verschiedener Privatsammler in Amerika und Europa. Jede der Darstellungen auf den Einzelstücken ist eine phantasievolle Szenerie, in der die Vertreter aus dem fernen Osten sich mit Clemens Augusts Namen beschäftigen, ihn bestaunen oder ihm mal in zeremonieller Feierlichkeit, mal auf kurios-spielerische Weise huldigen. Alles dies ist mit feinstem Pinsel und in glühender Farbigkeit gemalt.
2003 war es möglich, einen Schokoladenbecher mit Unterschale aus diesem Service für Schloss Augustusburg zu ersteigern. Damit kehrten zwei der außerordentlich kostbaren Stücke an ihren ursprünglichen Aufbewahrungsort zurück.
Clemens August verlangte für sich stets das Beste vom Besten. Nach einer Audienz bei diesem Kurfürsten in Schloss Augustusburg 1747 berichtete der Gesandte Frankreichs, Abbé de Guébriand, dem Außenministerium in Paris, Clemens August habe ihm nach dem Diner, bei dem die französisch-kurkölnischen Beziehungen vertieft wurden, alle Appartements des Schlosses zu zeigen geruht. Der Kurfürst habe dies mit jenem Stolz getan, den man gewöhnlich für sein eigenes Werk habe. „Ich ließ es nicht an Lobeserhebungen fehlen, die in der Tat die Ausschmückung und Möblierung verdienen. Ihr guter Geschmack übertrifft alles, was man in einem so unkultivierten Land erwarten kann…“ Nicht ausgeschlossen, dass auch das Meißner Tafelservice dieses Urteil begünstigt hatte.
Wilfried Hansmann
Literaturhinweise
Rainer Rückert, Meißner Porzellan 1710-1810. Katalog der Ausstellung im Bayerischen Nationalmuseum München, München 1966. – Stefan Busche, Tafelzier des Barock, München 1974. – Barbara Beaucamp-Markowsky, Europäisches Porzellan und ostasiatisches Exportporzellan, Geschirr und Ziergerät, Köln 1980. – Wilfried Hansmann, Schloss Augustusburg in Brühl. Fotografien von Florian Monheim (Beiträge zu den Bau- und Kunstdenkmälern im Rheinland 36: Die Schlösser Augustusburg und Falkenlust in Brühl, Teil 1), Worms 2002. – Ders., Brühl, Schloss Augustusburg – China huldigt Clemens August auf Meißner Porzellan. In: Denkmalpflege im Rheinland 21, 2004, S. 56-60.