Einführung in die Ausstellung "Ernst Günter Hansing: Porträts der deutsch-französischen Freundschaft. Konrad Adenauer - Charles de Gaulle - François Mitterrand - Helmut Kohl" im Adenauerhaus, Bad Honnef-Rhöndorf, am 22. Januar 2006

Frankreich wurde Ernst Günter Hansing, dem Künstler aus Norddeutschland, schon in jungen Jahren zu einer zweiten Heimat. Als Stipendiat der französischen Regierung war der Dreiundzwanzigjährige Schüler zweier großer Maler der Moderne in Frankreich: André Lhote und Fernand Léger. Zu Künstlern und Intellektuellen dieses Landes entwickelten sich persönliche Freundschaften. In Paris lernte Hansing Eva Schreder kennen, seine Ehefrau. Bis vor einigen Jahren besaß der Maler ein Atelier in Paris, wo auch ein Teil der Bildnisse Mitterrands enstand.

Als Hansing seine Bildnisreihe von Konrad Adenauer malte, hatte er bereits Beachtetes vorzuweisen: abstrakte Kompositionen als Glasfenster, Skulpturen und Gemälde, aber auch Bildnisse. Hansing beschäftigte die Frage, wie das Problem des bildnerischen Ausdrucks im menschlichen Antlitz auf eine neue Art gelöst werden könne, so dass ein Innenbild einer darzustellenden Persönlichkeit entstünde. Eine frühe Antwort hierauf gab Hansing in den zahlreichen Bildnissen, die er von Adenauer schuf.

Wie kam es zu dieser Porträtfolge, deren Hauptwerk von 1963 Sie hier sehen?

Ernst Günter Hansing:
Konrad Adenauer
1963
Öl auf Leinwand, 140x75 cm

Der Herausgeber der "Kieler Nachrichten" und Kunstsammler Willi Koch riet Hansing, sich einmal in das Gesicht Adenauers zu vertiefen, das eine außerordentliche Reife zeige und zur künstlerischen Auseinandersetzung geradezu herausfordere. Wie aber an den Bundeskanzler herankommen? Koch stellte einen Kontakt zu Ministerpräsident Kai Uwe von Hassel her, der zugleich Adenauers Wahlkampfleiter war. Von Hassel verschaffte Hansing gute Plätze bei Wahlkampfveranstaltungen Adenauers, um diesen zu skizzieren. Hieraus enstanden Kopfzeichnungen, die Hansing Adenauers persönlichem Referenten Dr. Barth übergab, um sie dem Bundeskanzler vorzulegen. Adenauer fand die Blätter interessant, interessierte sich aber auch für Hansings noch junges Alter und dafür, dass dieser in Frankreich studiert hatte und woher seine starke Neigung zu Frankreich stamme. Adenauer gestattete Hansing, ihn bei der Arbeit zu beobachtete und zu skizzieren. "Ich ging ins Palais Schaumburg", erzählte der Künstler, "und wurde von Frau Poppinga, Adenauers Sekretärin, begrüßt. Ich musste noch etwas warten, weil Herr Schröder, der damalige Außenminster, beim Kanzler war. Die Nervosität nahm zu. Als ich in Adenauers Amtszimmer gerufen wurde, kam die Reaktion: Ich stolperte. Ich stolperte über eine kleine Holzschwelle...Adenauer sah mich an und sagte zu mir: 'Guten Tag, Herr Hansing. Sie sind sicher nervös. Diese Stufe hier, über die Sie gerade gestolpert sind, ist für mich immer der Test, ob meine Minister gut vorbereitet sind. Die meisten stolpern, wenn sie schlecht präpariert sind. Aber bei Ihnen ist es bestimmt nur Nervosität.'"

Die Skizzen des ersten Tags gelangen nicht so recht. Hansing: "Adenauer kam plötzlich väterlich auf mich zu und sagte: 'Das müssen Sie nicht so tragisch nehmen, das ist doch klar. Sie müssen sich erst einmal einarbeiten. Wir werden uns noch einige Male treffen, und schon morgen können wir - wenn Sie wollen - uns wiedersehen.'"

Am nächsten Tag ging die Arbeit besser voran. Hansing: "Es war alles nicht mehr so neu, die Ruhe des Kanzlers und die Stille des Raumes übertrugen sich auf mich; ich konnte mich ganz auf sein Gesicht konzentrieren."

Auch die für den Maler stets wichtigen Gespräche mit dem Modell, um Charakteristisches über den Darzustellenden zu erfahren, wurden offener. Hansing: "Einmal fragte er mich nach meiner Konfession. Auf meine Antwort, dass ich evangelisch sei, antwortete Adenauer: 'Ich habe immer gesagt, der Luther war ein guter Mann. Wäre ich damals Papst gewesen, hätte ich ihn zu mir kommen lassen, dann wäre das alles nicht passiert!' Solche einfachen Formeln benutzte er oft, und die haben mich schließlich ganz locker gemacht."

Hansing war tief beeindruckt von Adenauers Gesichtslandschaft mit ihren Zerklüftungen, von der Vielschichtigkeit und dem ständigen Sichwandeln der Physiognomie, wenn der Kanzler las oder sprach oder nachdachte. Für den abstrakt arbeitenden Künstler stellte sich die nicht leichte Aufgabe, ein Gesicht von solcher Lebendigkeit in angemessener Form zu erfassen.

Parallel zu den Adenauerbildnissen malte Hansing vertikal aufgebaute Nachtbilder. Ihr Blau und ihre senkrechte Strukturen passten zu Adenauers kerzengerader Statur. Hansing fand, wenn man eine Senkrechte in die Mittelachse eines Bildes setzte, war dies schon das Grundelement eines Adenauerporträts. Adenauer erkannte die Vertikale im Hauptwerk und fragte den Künstler nach ihrem Zweck. Hansing: "Ich antwortete, ich wolle seine Standfestigkeit, sein Stehvermögen zum Ausdruck bringen. Er fragte mich weiter, warum ich nur den Kopf und senkrechte Strukturen zeige. Ich erklärte ihm, ich bräuchte weder seine Krawatte noch seinen Anzug. Notwendig seien nur Kopf und Strukturen aus lichten Farben in der Vertikalen, das Ganze zusammengezogen durch einen tiefblauen Hintergrund." Adenauer hielt eine solche Porträtauffassung für gewagt, gab dem Künstler aber zu verstehen, wenn er meine, dass er ihn so sehe, dann müsse er ihn eben so malen.

Nahezu alle Versionen des Adenauerporträts - Ölbilder, Gouchen, Aquarelle und Zeichnungen - geben einen Gesichtstypus in Vorderansicht wieder, der zusammenhängt mit einer der Zeichnungen, die Hansings berühmtestes Adenauerbildnis geworden ist: Nur Stirn, Nase und Mund sind hier mit sparsamsten Linien hingeschrieben - ein Gesichtsstenogramm, das auf Konturen verzichtet, um Wesentliches hervorzuheben. Die Augen fixieren abwägend ein Ziel und halten Emotionen unter Kontrolle.

Ernst Günter Hansing:
Konrad Adenauer
Vorstudie 7
1963
Lithographie, 62x45 cm

Im Hauptwerk vollenden sorgsam gesetzte Farbformen die Landschaft des Gesichts. "Politisches Urgestein" nannte Herbert Wehner den Bundeskanzler. In Hansings Bild tritt die Physiognomie aus einer abstrakten Figuration hervor, die an ein geschichtetes Steinfragment erinnert. Es liegt wie eine Insel auf dem Blau des Grundes. Besonders eindrucksvoll in den Zügen des Gesichts sind die Partien um das linke Auge und um den gespannten Mund. Die Augen des Kanzlers verraten Weitsicht und das Unbeugsame in der Durchsetzung seiner Politik. Unverkennbar ist zugleich der altersweise Adenauer mit dem spottlustigen "Grielächer"-Zug des Rheinländers in den Augenwinkeln.

Ernst Günter Hansing:
Charles de Gaulle
1969
Öl auf Leinwand, 130x110 cm

Adenauer erwies sich als bester Interpretet seiner Bildnisse. Während der Vernissage im Großen Kabinettssaal des Palais Schaumburg erklärte er, Hansings Porträts seien keine Porträts im üblichen Sinne, es seien Visionen. Dem Maler vertraute er an: "Meine Familie hat gemeint, ich würde vor Ihren Bildern einen Schock erhalten. Das ist absolut nicht der Fall. Ihre Bilder sind von erstaunlicher Ausdruckskraft." Und er fügte hinzu: "Sie lieben offensichtlich die Farbe Blau und Sie lieben Frankreich...Sie kennen sicher die Kathedrale von Chartres. Ich sehe in Ihren Bildern etwas von dem Blau, von dem die Fenster der Kathedrale von Chartres durchdrungen sind." Hansing war erstaunt über diese Beobachtung, denn für ihn war das Blauwunder dieser Fenster in der Tat wie eine Offenbarung gewesen. Blau in seiner Ausdruckskraft als Farbe des Meditativen, des kühl Abwägenden, des Sakralen und Kosmischen schien wie geschaffen, um ein Innenbild der Persönlichkeit Adenauers zu visualisieren.

Den anderen großen Protagonisten der deutsch-französischen Freundschaft, Staatspräsidenten Charles de Gaulle, sah und zeichnete Hansing bei Staatsbesuchen in Bonn. Zu einer persönlichen Begegnung kam es nicht. Zahlreiche Zeichnungen und Aquarelle bezeugen jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Jahrhundertgestalt und ihrer unverkennbaren Physiognomie. Ähnlich wie Adenauers Gesicht tritt im Hauptwerk das schlanke Antlitz de Gaulles aus der Mitte des Bildes hervor, kostbar gefasst durch vertikale abstrakte Schichtungen an den Seiten. Die Gesichtszüge bestehen aus einem denkbar lebhaften Spiel wohlbedacht komponierter Farbstrukturen - wie die Schichtungen in Blau-Weiß-Rot-gehalten: in den Farben der Trikolore. Damit ist dieses Porträt zugleich ein Amtsbild des Präsidenten der Französischen Republik, aber in neuer Auffassung. Amtsbilder zeigen in der Regel Hoheitsattribute. Davon ist bei Hansings de Gaulle nichts zu finden, sondern dieser ist selbst das von den Farben der französischen Flagge durchwirkte Sinnbild der Nation. Man meint ihn beim Anblick dieses Bildes sein berühmtes pathetisch-hoheitsvolles "Vive la France!" ausrufen zu hören.

Zwischen François Mitterrand und Ernst Günter Hansing bestand eine herzliche Beziehung auf gebührende Distanz. Diese Beziehung begann 1987 mit einem Gespräch über die gemeinsame Freundin Clara Malraux nach einem Besuch des französischen Staatspräsidenten am Grab Adenauers auf dem Rhöndorfer Waldfriedhof. Viele Male saß Mitterrand im Elysée-Palast dem Maler Modell. Der Künstler erlebte ihn nicht unnahbar und an seiner Arbeit höchst interessiert. Mitterrand besuchte Hansings sogar in seinem Pariser Atelier, und die bei dieser Gelegenheit entstandenen Fotografien zeigen einen Staatspräsidenten, der die Gastfreundschaft des Ehepaars Hansing sehr genoss. Bei den Sitzungen fielen gelegentlich Bemerkungen wie: "Das ist ja fast ein Blick wie der einer Eule." - "Bin ich wirklich schon so alt? Das ist ja schrecklich."- "Sie kommen von einer gewissen €hnlichkeit zu Ihrer Adenauerauffassung nicht weg. Aber Sie müssen bedenken, dass ich nicht so alt wie Adenauer bin. Und im übrigen bin ich Mitterrand."

Wiederum entstanden zahlreiche Kopfstudien; so ist einmal der Kopf en face wie in den de Gaulle-Bildnissen von den Farben der Trikolore durchwirkt. Mitterrands Gesicht erschien Hansing wegen der Flächen und der unzähligen feinen Faltenlinien schwer erfassbar. Hierin aber lag der besondere Ausdruck für Mitterrands Sensibilität. Dies festzuhalten, gelang in den Zeichnungen, machte aber die Arbeit schwer beim Hauptwerk; denn hier sollte Mitterrand in ganzer Gestalt erscheinen, wobei das Gesicht wieder zurückgenommen werden musste.

Ernst Günter Hansing:
François Mitterand
1990/92
Acryl auf Leinwand, 100x80 cm

Dem Hauptwerk, das sich heute in Paris befindet, geht ein Zwischenstadium vor der Abstraktion voraus. Das Gefüge ist hergeleitet aus einer Fotografie, die Hansing im Elysée-Palast vom Präsidenten vor einer Fenstertür aufnahm. Fenstertür links und Wandstück mit Tür rechts sind im Gemälde zu strengen Rhythmen gewandelt. Sie grenzen die Gestalt ein, setzen sich aber gleichzeitig in ihr in kürzeren Intervallen fort. Mitterrand bleibt in die Komposition flächig eingebunden; seine Füße sind nicht gezeigt, um anzudeuten, dass er den Weg zum Betrachter nicht sucht - anders als im Hauptwerk, wo der Präsident auf den Betrachter zuschreitet. Ein akzentuierendes Rot verbindet sich im breiten Farbzug hinter dem Präsidenten mit Gelb: Das Rot ist die Reminiszenz an das Muster des Fenstervorhangs in der Fotografie, hier aber stark abstrahiert. Markanter als in der Fotografie hebt dieses Element die Gestalt des Staatsmannes hervor, damit er in der Lebhaftigkeit, mit der der Rhythmus Ambiente und Person erfasst, nicht untergeht. Dabei bleibt er für den Betrachter in spürbarer Distanz.

Ernst Günter Hansing:
François Mitterand
Fotographie

Es war nie ein leichtes Unterfangen, Physiognomie, Psyche und Charakter eines Menschen zu erforschen, um Schichten seiner Persönlichkeit freizulegen - schon gar nicht bei einem Bundeskanzler vom Format Helmut Kohls. Dieser sei gegenüber einer Bildformulierung seinerselbst durch Hansing skeptisch gewesen, berichtete Friedhelm Ost. In die Erwartung hätten sich auch gewisse Unsicherheiten gemischt, um nicht zu sagen: Befürchtungen. Dank der Fürsprache engster Mitarbeiter Kohls, der täglich in seinem Kanzleramtszimmer ein Mitterrand-Porträt von Hansing vor Augen hatte, konnte der Künstler den Bundeskanzler beobachten und skizzieren. Von den ersten †berlegungen für ein Kohl-Bildnis stand für Hansing fest, nur den Kopf zu zeigen. Als Vorstudien entstanden 1996 monumentale Zeichnungen auf Leinwand. Der leicht zur Seite geneigte Kopf in Vorderansicht ohne oder mit geöffneten Konturen verbindet die Zeichnungen mit denen Adenauers. Die Augen blicken in diesen en-face-Versionen klar. Die Wirkmacht der Augen ist dadurch gesteigert, dass sie eingebettet sind in ein dynamisches Liniengefüge, das einer Hansing'schen kosmischen Landschaft gleicht. Wie eine Chiffre setzt Hansing um Mund und Nase Strahlenbündel ein, die aus einem Punkt hervorblitzen. So werden Enegien des Innenbildes sichtbar.

Helmut Herles wollte in einem 1999 von ihm moderierten Gespräch zwischen Kohl und Hansing vom Altbundeskanzler wissen, ob er sich von Hansing durchschaut fühle. "Nein, nicht durchschaut". "Aber erkannt und beurteilt" habe ihn Hansing durchaus, war die Antwort.

Ernst Günter Hansing:
Helmut Kohl
1996
Mischtechnik auf Leinwand, 120x100 cm

In einer farbigen Weiterentwicklung der Bildnisstudien verbinden sich Schwarz, Rot und Gelb (für Gold), eine Anspielung auf die Farben der Bundesrepublik Deutschland, so wie in den Bildnissen von de Gaulle und Mitterrand die Trikolore mitgedacht ist. Helmut Kohl ist zugleich der geachtete Staatsmann in Europa. Für Europa steht ein blauer Bildgrund, von der Europafahne inspiriert. Ihre zweite Farbkomponente ist das Gelb des Sternenkranzes. Mit Blau zusammen begleitet Gelb die Faltenzüge der Stirn und die Energieabstraktionen um Wangen und Mund. Es soll ausgesagt sein: Denken und Handeln des Bundeskanzlers sind geleitet von der Europa-Idee. Das Antlitz des Kanzlers ist gewinnend und voller Vitalität, aber der Künstler sah auch Bitternis, ausgedrückt vor allem in den Faltengittern der Stirnpartie. In markantem Spannungsverhältnis zur Gesichtslandschaft steht eine kraftvoll erscheinende, in Wahrheit aber bedenklich labile schwarze Balkenschichtung als Basis für das Antlitz: nach Aussage des Künstlers ein intuitiver Einfall. Aber ist hier nicht Gang der Geschichte visionär vorweggenommen?

Wie für alle Werke Ernst Günter Hansings gilt auch für seine Bildnisse Adenauers, de Gaulles, Mitterrands und Kohls: Sie fordern vom Betrachter Zeit und Geduld, um die Tiefe der Hansing'schen Bildniskunst auszuloten. Sie ist nahezu immer, wie Walter Scheel es einmal fomulierte, "entlarvende Malerei".

Wilfried Hansmann